Josef Müller-Brockmann, 09.05.1914–30.08.1996
Josef Müller-Brockmann ist ein weltbekannter Grafikdesigner. Er war ein Pionier der Schweizer Grafik der 1950er und 1960er Jahre, die international die Disziplin mit ihren konstruktiven und funktionalen Prinzipien bis heute beeinflusst. Nach einer eindrücklichen frühen Karriere als zeichnender Grafiker, vollzog er Anfang der 1950er Jahre eine radikale Wende hin zu einer zeitgemässen modernen Gestaltung. Sein grosses Ansehen verdankt er seiner unermüdlichen Tätigkeit als Vermittler seiner Überzeugungen und seinem gradlinigen und menschlichen Wesen. National und international wurde er mit den wichtigsten Auszeichnungen bedacht. Mit der Künstlerin Shizuko Yoshikawa war Müller-Brockmann seit 1967 verheiratet. Ab 1976 bewohnten sie ein geräumiges modernes Atelierhaus in Unterengstringen bei Zürich, wo er 1996 starb. Josef Müller wurde 1914 in Rapperswil, Kanton St. Gallen, etwa 40 Kilometer von Zürich entfernt, geboren. Nach der obligatorischen Schulzeit begann er eine Lehre als Grafiker, die er nach zwei unbefriedigenden Jahren abbrach. Der talentierte Zeichner versuchte sich als selbständiger Gestalter und hospitierte an der Kunstgewerbeschule Zürich bei Alfred Willimann und Ernst Keller, zwei angesehenen und einflussreichen Grafikern der Zeit. Mit kleinen Aufträgen hielt er sich über Wasser und bildete sich als Autodidakt weiter, besuchte Vorlesungen an den Hochschulen und entwickelte seine zeichnerischen Fähigkeiten. Mit zwanzig Jahren bezog er sein erstes Atelier und fiel mit Schaufensterdekorationen und grossen Wandbildern auf, die 1939 zu einem grossen Auftrag für die Schweizerische Landesausstellung führten. Mit dem damit ersparten Geld wollte er sich ein Studienjahr bei Fernand Léger in Paris leisten. Der Plan wurde durch den Kriegsausbruch vereitelt und Müller verbrachte die Zeit bis 1945 als Offizier der Schweizer Armee die meiste Zeit in Uniform. 1943 heiratete er die Violinistin Verena Brockmann (19XX–1964) und trug fortan den Namen Müller-Brockmann. Das Paar hatte einen Sohn, Andreas (1944–1992). Nach dem Krieg entwickelte sich die Karriere schnell und Müller-Brockmann war als zeichnender Grafiker gefragt und wurde mit grossflächigen Arbeiten betraut. Er entwarf Ausstellungen für das Helmhaus in Zürich und für Messen im In- und Ausland. Er profilierte sich auch als Bühnen- und Kostümbildner und stattete Aufführungen in Zürich, München und Kopenhagen aus. Der Erfolg stellte sich endgültig 1949 ein, schlug sich auch in kommerziellen Aufträgen nieder und in ersten Anfragen für Musik- und Theaterplakate. Trotz der Erfolge zweifelte Müller-Brockmann an seinem künstlerischen Talent und hegte Zweifel an der zeitgemässen Bedeutung seiner illustrativen Grafik.
Aufbruch in die Moderne
Müller-Brockmanns Begegnung mit Ladislav Sutnar in Prag 1948 und die Auseinandersetzung mit den Werken von Karel Teige, dem Bauhaus und besonders mit der Typografie von Moholy-Nagy zeitigten ihre Wirkung, ebenso die Beschäftigung mit Jan Tschichold und der Neuen Typografie. Anfang der 1950er Jahre wandte er sich der Moderne zu und legte innerhalb weniger Jahre ein gestalterisches Werk vor, das die Prinzipien seiner später weltweit einflussreichen Gestaltungslehre vorwegnahm. Ab 1950 schuf er erste Plakate für die Tonhalle Zürich, mit abstrakten Figuren und typografische Kompositionen, die bald von geometrischen Figuren und Farbkompositionen im Geist der konkreten Kunst abgelöst wurden. Müller-Brockmanns Gestaltung, sein Schaffensdrang und der enorme Ausstoss seines Ateliers fielen zusammen mit einem allgemeinen modernen Aufbruch im protestantischen Zürich, der viele Grafiker seinem Beispiel folgen liess und der konstruktiven und funktionalen Grafik zum Aufschwung verhalf. Daneben erhielt die Foto-Grafik Auftrieb und Müller-Brockmann war einer ihrer vielseitigsten Anwender. 1953 gewann er den Plakatwettbewerb des Automobilclubs der Schweiz. Das Plakat schützt das Kind! ist eine Montage von Fotografien von Ernst A. Heiniger und erzeugt seine Wirkung durch die dramatische Beziehung zwischen dem rasenden Motorrad und dem schutzlosen rennenden Knaben. Heiniger folgte kurz darauf dem Ruf von Walt Disney nach Los Angeles und gelangte als Dokumentarfilmer in den Vereinigten Staaten zu Berühmtheit. Müller-Brockmann übernahm Heinigers Atelier und beschäftigte dessen Mitarbeiter Serge Libiszewski weiter, einen experimentierfreudigen jungen Fotografen. Die Fotografie wurde ein wesentliches Ausdrucksmittel in der Atelierarbeit. Müller-Brockmann experimentierte im Rahmen von verschiedenen Gestaltungsaufträgen mit Lichtmalerei und ungegenständlichen Fotogrammen. Das Atelier entwickelt eine eigenständige Form der Sachfotografie. Schweizer Industrieunternehmungen und Dienstleister nahmen das Atelier in Anspruch und liessen zeitgemässe Erscheinungsbilder entwickeln, von denen einige bis heute Bestand haben.
Neben Armin Hofmann, der die Basler Schule vertrat, wurde Müller-Brockmann international zum Aushängeschild der Schweizer Grafik. 1956 wurde er als Referent an die Internationale Design-Konferenz nach Aspen/USA eingeladen. Er liess sich von Armin Hofmann und dem Architekten und Schriftsteller Max Frisch begleiten und sprach in seinem Vortrag über die Erfolge der Moderne in der Schweizer Gestaltung und Architektur. Im selben Jahr weilte er noch einmal in New York. Er trug sich mit dem Gedanken, sich dort beruflich zu versuchen, nachdem eine angesehene Zeitschrift seine Werke umfangreich präsentiert und gepriesen hatte. Trotz lukrativer Angebote kam er zum Schluss, dass er zu sehr in der europäischen Kultur verwurzelt war und dass der vorwiegend kommerzielle Antrieb in Amerika seiner Gestaltung nicht zuträglich sein würde.
Schweizer Grafik
Zurück in der Schweiz schärfte Müller-Brockmann seine Gestaltungsprinzipien weiter. Er initiierte die Zeitschrift «Neue Grafik, New Graphic Design, Graphisme actuel», die von 1958 bis 1965 in 18 Nummern erschien. Die Herausgeber waren neben ihm Richard Paul Lohse, Hans Neuburg und Carlo Vivarelli. Die Zeitschrift war ein Instrument zur Verbreitung des Neuen. Mit theoretischen Texten und historischen Beispielen wurde dessen ethisches und ästhetisches Fundament erläutert, mit dem Ziel es als universalen Massstab zu etablieren. Tatsächlich wurden die Prinzipien von vielen international tätigen Unternehmen übernommen, um auf der strengen Grundlage einheitliche Corporate Design Programme zu entwickeln. Das vorwiegend ausländische Publikum zog allerdings den griffigen Begriff des «Swiss Style» mit seinen prominenten Aushängeschildern dem proklamierten neutralen «New Graphic Design» vor, der immerhin gelegentlich auch als (Swiss) «International Style» apostrophiert wurde.
1957 engagierte sich Müller-Brockmann an der Fachklasse für Grafik der Kunstgewerbeschule Zürich und übernahm als Nachfolger seines früheren Lehrers Ernst Keller deren Leitung. Nach vier Jahren verliess er 1960 die Schule wieder, nachdem er mit seinen Reformvorschlägen nicht durchgedrungen war. Im selben Jahr nahm er neben prominenten Vertretern aus Europa und den USA an der WoDeCo (World Design Conference) in Tokio teil, die der modernen Bewegung in Japan erheblichen Schub verlieh. Müller-Brockmann wurde in der Folge wiederholt als Lehrer an Hochschulen in Tokio und Osaka eingeladen und vertiefte sich in die Kultur des Landes. An der Konferenz in Tokio lernte er seine spätere Ehefrau Shizuko Yoshikawa kennen.
Yoshikawa hatte nach einem Studium der englischen Sprache und Literatur ein Masterstudium in Architektur und Design begonnen. Angespornt von der an der WoDeCo gemachten Bekanntschaft mit Tómas Maldonado und Otl Aicher, zwei prägenden Persönlichkeiten an der Hochschule für Gestaltung Ulm, beschloss sie 1961 nach Deutschland auszuwandern um an dieser Schule zu studieren. 1962 lehrte Müller-Brockmann dort als Gast an der Abteilung für visuelle Kommunikation, wo er Yoshikawa wieder begegnete. In der Folge nahm sie 1963 seine Einladung nach Zürich an und arbeitete an einem umfangreichen Gestaltungsprojekt für die Expo 64 mit, die Schweizerische Landesausstellung. Müller-Brockmann und Shizuko Yoshikawa heirateten 1967.
JMB, schützt das Kind!, 1952/53
Automobil-Club der Schweiz
Das Plakat ist aus einem Wettbewerb hervorgegangen. Das rasende Motorrad nimmt mit einem Rad mehr als die Hälfte des Formats ein und wird durch die Diagonale zusätzlich beschleunigt. Der schutzlose Knabe ist in grosser Gefahr. Fotografie: Ernst. A. Heiniger. Das erste Plakat in einer Reihe von Appellen des Automobil-Clubs.JMB, beethoven, 22. Februar 1955
Plakat für die Tonhalle-Gesellschaft Zürich
Nach eigenem Bekunden hat Müller-Brockmann zwei Monate mit dem Entwurf dieses Plakates zugebracht. Es zählt zu deinen Bedeutendsten. Die Bewegtheit und Wucht der Musik des Komponisten kommt in der geometrischen Figur gleichermassen zum Ausdruck. Zu dieser Zeit überzeugt Müller-Brockmann den Auftraggeber, dass die durchgehende Kleinschreibung ein ebenmässigeres Schriftbild ergäbe und der Musik angemessener sei.
JMB, der Film, 1960
Kunstgewerbemuseum Zürich
Ein Meisterwerk der Komposition und Semantik.
Als Gestalter hat Müller-Brockmann in den 1960er Jahren vor allem mit seinen Plakaten Weltruhm erlangt und als Berater seinen Einfluss als Pionier der Schweizer Grafik gefestigt. Aufträge in Deutschland, vom Porzellanhersteller Rosenthal und Weishaupt, dem Hersteller von Heizsystemen, führten 1963 zur vorübergehenden Gründung eines Ateliers in Nürnberg. Die Beziehungen zu den beiden Patrons war eng. Die Beratung schloss neben Gestaltung und Werbung auch die Architektur und Kunst mit ein. Weishaupt begann auf Müller-Brockmanns Anregung ungegenständliche Kunst zu sammeln und engagierte auf seine Vermittlung hin Walter Gropius als Architekt für das wachsenden Unternehmen. 1967 wurde Müller-Brockmann als Design-Berater für IBM Europa berufen, eine ehrenvolle und anspruchsvolle Position, die er bis 1988 innehatte. Für die IBM Gallery in New York regte er Präsentationen von Schweizer Künstlern und Fotografen an, u.a., 1967 die Ausstellung «Concrete Art of Zurich».
Wachsende Werbe- und Gestaltungsaufträge führten 1967 zur Gründung der Werbeagentur Müller-Brockmann & Co, später MB & Co. in Zürich. Die Partnerschaft wurde 1976 aufgelöst und Müller-Brockmann führe die Agentur neben seiner Beratungs- und Vortragstätigkeit mit einem kleinen Team bis 1984 weiter und nahm bedeutende Gestaltungsaufgaben wahr, unter anderem die Entwicklung des SBB-Fahrgastinformationssystems, das bis heute das Erscheinungsbild der Schweizerischen Bundesbahnen prägt.
Vermittler aus Leidenschaft
JMB widmete seine künstlerische Begabung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Gestaltung von massenwirksamen Medien und Inhalten. Seine Leidenschaft galt der Vermittlung. Vom Drang, die eigenen Erkenntnisse weiterzugeben und mit anderen zu teilen zeugen seine Lehrtätigkeit, aber auch seine Publikationen, allen voran «Gestaltungsprobleme des Grafikers», 1961, und «Rastersysteme für die visuelle Gestaltung», 1981, sowie Dokumentationen zur Geschichte der visuellen Kommunikation und zur Geschichte des Plakats. In seinen Vorträgen vertrat der Vielreisende weltweit die Prinzipien seiner Gestaltung und seine Anforderungen an das Berufsbild des Gestalters: die Form, sachlich und funktional, in den Dienst des Inhalts zu stellen und hohen ethischen und gesellschaftlichen Ansprüchen zu genügen.
Die Förderung der konstruktiv-konkreten Kunst war das Ziel seiner Tätigkeit als Galerist. In der «Galerie Seestrasse» in Rapperswil stellte er etablierte und weniger bekannte Vertreter der Kunstrichtung aus und bot ihre Kunst in Editionen an. Mit vielen Kunstschaffenden verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Josef Müller-Brockmann war von seiner Herkunft, seinem Bildungsweg und seinem beruflichen Werdegang her keineswegs prädestiniert, eine Leitfigur der neuen Gestaltung und ein derart einflussreicher Verfechter der Moderne zu sein. Wissensdurst, Weltoffenheit und Disziplin befähigten ihn zu seinem radikalen Richtungswechsel Anfang der 1950er Jahre, dem wir eines der eindrücklichsten Werke des Grafik Designs des zwanzigsten Jahrhunderts verdanken.
Josef Müller-Brockmann starb am 30. August 1996.
(LM)
JMB, weniger Lärm, 1960
Schweizerisches Komitee für Lärmbekämpfung
Maximaler Ausdruck mit minimalen Mitteln in einer meisterhaften Komposition.
JMB, musica viva, 10. Oktober 1961
Tonhalle-Gesellschaft Zürich
Die radikale Typografie suggeriert durch die Komposition in der Fläche, Schriftgrösse, Zeilenfall und Grauwert Rhythmus und Melodie.
JMB, musica viva, 7. Januar 1972
Tonhalle-Gesellschaft Zürich
Die Typografie wird zur Partitur. Zum Ende der Zusammenarbeit mit der Tonhalle-Gesellschaft findet Müller-Brockmann zu einer lebendigen Farbigkeit und spielerischen aber gleichwohl strengen Typografie.
JMB, akari – Lampen aus Japan, 1975
Kunstgewerbemuseum der Stadt Zürich
Geometrische Schlichtheit mit japanischer Anmutung.
JMB, Visuelles Informationssystem in Bahnhöfen und Stationen, 1980
Schweizerische Bundesbahnen
Das streng funktionale und einprägsame Zeichen- und Schriftsystem ist seit vierzig Jahren das Fundament des Erscheinungsbildes der SBB.
JMB & SY, shizuko yoshikawa / j. müller-brockmann, 1994
Brandenburgische Kunstsammlung Cottbus/D
Plakate für eine Doppelausstellung. Die Komposition vereint die formalen Prinzipien aus den Werken der beiden Künstler:innen.
SY & JMB, shizuko yoshikawa / j. müller-brockmann, 1994
Brandenburgische Kunstsammlung Cottbus/D
Plakate für eine Doppelausstellung. Die Komposition vereint die formalen Prinzipien aus den Werken der beiden Künstler:innen.